Wodka

 

 

 

Mein Vater war Alkoholiker.  Und hatte nie Geld. Also musste ich den Nachschub besorgen.

 

     Da war ich Zehn oder so. Für mich waren im Grunde alle Erwachsenen Alkoholiker, denn ich kannte ja kaum jemanden außer meinem Vater. Ich war der festen Überzeugung, es würde bei jedem zu Hause so zugehen wie bei uns. Abends vor allem.

   Entweder lag er furzend und vor sich hindösend auf unserem Stubensofa und vergnügte sich in seinen Wachphasen mit Helene Fischer oder er polterte wie King-Kong durch die Wohnung und brüllte und schrie, wo denn wieder der blöde Kurze blieb mit seinem Wodka, den der ihm besorgen wollte.

   Von wollen konnte ja wohl nicht die Rede sein. Ich musste. Er zwang mich. Er schlug mich. Und er kannte keine Verwandten, wenn er mich schlug. Seinen Ledergürtel in der Rechten, mich mit der Linken am Schlafittchen, drosch er blindwütig und rücksichtslos auf meinen Arsch ein, bis die Schmerzen meinen Stolz zerfressen hatten und ich mich hemmungslos einem befreienden Schluchzen ergab.

   Aber ich liebte den. Ich hatte ja nur ihn. Er war der einzige, den ich hatte. Meine Mutter war tot. Und Geschwister gab´s auch nicht. In der Schule – Fehlanzeige! Keiner mochte mich. Und ich fand die anderen auch reichlich blöd. Heimlich war ich zwar in Samira verknallt, aber – wie gesagt: heimlich nur. Ich konnte mich keinem anvertrauen. Mit keinem über Samira quatschen und über meinen Vater erst recht nicht.

   Nach der Schule ging ich zur Arbeit. Und Arbeit hieß für mich: Klauen! Ich klaute, was nicht niet-und nagelfest war: Geld, Handys, Sneakers und so´n Zeug. So im Vorbeigehen immer, nachdem ich die Leute ausgekundschaftet hatte, da auf dem Marktplatz, an den Tischen vor den Kneipen und gerne hier im Park, wo sich nach der Schule viele Ältere trafen, um abzuhängen und rumzumachen.

   Ich kannte welche, die mir die Sachen abnahmen. Nicht hier. Zwei, drei Blocks weiter, wo  die auf  ´ne andere Schule gingen.

 

Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und öffne die Tür. Leise. Die Nachbarn müssen nicht alles mitkriegen. Ich dreh´ mich noch mal um. Mach ich aus Gewohnheit. Keiner kuckt.

   Ich höre schon im Flur, was los ist. Da fliegen Sachen durch die Gegend, die er gegen die Wand pfeffert. Er keift wie ein durchgeknalltes altes Waschweib. Und der Fernseher gibt seinen Senf dazu. In Überlautstärke.

 »Keinen Respekt haben die!«, hör´ ich ihn schreien. »Was hat man nicht alles für die getan?«

Als er mich im Durchgang zwischen Küche und Wohnzimmer erblickt, stutzt er einen Moment. Dann

macht er weiter mit seiner Show. Jetzt hat er ja sogar  Publikum. Er stürzt zur Eingangstür, schließt ab und reißt den Schlüssel an sich.

»So! Du kommst mir hier nicht raus. Damit das klar ist.« Er streckt mir seine Hand entgegen und winkt mich mit dem Zeigefinger zu sich.

 »Wo ist das Zeug? Gib schon her!«

 Ich öffne meinen Ranzen und befördere die erste Wodkaflasche ins Freie. Ich kann gar nicht so schnell kucken, wie er sie mir aus der Hand reißt.

 »Danke«, brummelt er. Ich sage gar nichts. Bin nur erstaunt: Er bedankt sich tatsächlich.

 »Bist doch mein Bester«, knurrt er vom Sofa rüber zu mir. Er gießt sein Senfglas bis oben hin voll, setzt es an, kippt Kopf samt Glas in die Höhe und stürzt den Alkohol mit einem Schluck durch die Kehle.

 

 Dann hebt er seinen Blick und glotzt mich aus irren, glücklichen Augen an.

 »Bist mein Bester«, wiederholt er, »weißt du das eigentlich?«

    Ich antworte nicht. Ich antworte nie auf solche Fragen. Weiß nicht, was ich sagen soll. Es vergeht ´ne Zeit, bis er weiterspricht, während ich immer noch zwischen Tür und Angel rumhänge, als warte ich auf irgendwas.

 »Komm! Setz´ dich!«

 Er klopft mit der flachen Hand neben sich aufs Sofa.

 «Setz´ dich!«

 Ich ergebe mich in mein Schicksal, tu die paar Schritte und lass´ mich aufs Sofa fallen. Er gießt Wodka nach.

    »Hab´ ich dir eigentlich mal erzählt, wie ich deine Mutter kennengelernt habe?», nuschelt er. »Wir waren wirklich ein tolles Paar damals. Das sag´ ich dir. Alle haben uns bewundert und beneidet. Alle. Alle, wie sie da waren.«

 Er sülzt mich voll. Soviel spricht er meist nie. Tut überhaupt so, als wenn er nicht eben noch rumgewettert hätte wie ein besoffenes Arschloch. Als wenn sein Wutanfall überhaupt nicht passiert wär. Aber so ist das: Von einer auf die andere Minute hat er vergessen, was er für´n  Scheiß verbockt hat.

   »Alle waren sie hinter ihr her«, blafft er weiter. «All die Idioten. Und wer hat sie gekriegt?« Er stößt sich den Daumen ein paar Mal gegen die Brust und grinst dabei wie ein Schwachkopf.  

 

     Ich kenn die Geschichte. Ich kenn sie in- und auswendig. Aber ich werde einen Scheißdreck tun und ihm dieses Geheimnis verraten. Denn solange er labert, schlägt er mich nicht.

 

     »Hier!«, sagt er, »nimm ´n  Schluck!«

 

     Er hält mir sein Glas unter die Nase.

 

     »Nun tu nicht so!«, drängelt er. »Ist sowieso egal.«

 

     Ich spüre die Gefahr. Ich darf ihn nicht reizen! Ich muss aufpassen!

 

     »Gleich«, sag´ ich, steh´ vom Sofa auf und bewege mich in Richtung Küche. »Will mir nur was zu essen holen.«

 

     Ich hab überhaupt keinen Hunger. Aber ich muss ihn hinhalten. Vielleicht hat er seine Anmache vergessen, wenn ich aus der Küche zurück bin.

 

     Klar, hab´ ich schon mal Alkohol getrunken. Aber  überhaupt keinen Bock, mit meinem Alten auf der Couch zu sitzen und Wodka zu saufen. Was stellt der sich denn vor, was Zehnjährige so trinken?

 

     Ich lehne mich gegen die Spüle und warte. Worauf?  Dass sich was ändert? Dass er einschläft? Dass morgen ist?. Dass mir was einfällt? Ich weiß nicht.

 

     Als ich mich umdrehe, sehe ich ihn in der Tür. Er ist mir gefolgt, steht da mit seinem Glas in der Hand und glotzt mich an.

 

     »Trink!«, flüstert er, hebt langsam seinen Arm und streckt mir das Glas entgegen. »Trink jetzt!«